Wie kann die Textilproduktion wiederkehren?
Vor dem Hintergrund eines stetig steigenden, nicht nachhaltigen Ressourcenverbrauchs und des in der Textilindustrie dominierenden Konzepts der „Fast Fashion“ bedarf es innovativer Konzepte gegenwärtige Praktiken in der Textil- und Bekleidungsbranche in Richtung kreislaufwirtschaftlicher Prinzipien zu transformieren und nachhaltige Produktions- und Konsumptionsmuster zu etablieren. Fab City ist ein globales Movement, welches der Makerszene entspringt und sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2054 alle Gebrauchsgüter einer Stadt innerhalb derer Stadtgrenzen zu produzieren.
Gerade im Bereich Textilien klingt das sehr ambitioniert! House of All hat sich im Rahmen einer Kooperation als Teil von Fab City HH e.V. verpflichtet, im Zuge eines Forschungsprojekts die Grundlagen für ein kreislauffähiges Ökosystem mit Schwerpunkt
Textilien/ Bekleidung in Hamburg zu entwickeln. Das Open Lab for Circular Textiles, welches hierfür entstanden ist, verbindet verschiedene Orte und Räumlichkeiten, die durch House of All und seine Netzwerkpartner:innen betrieben werden und integriert diese in eine dezentrale Entwicklungs-, Design-, Forschungs- und Produktionswerkstatt. Das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben gliedert sich in vier Arbeitspakete, die z.T. parallel durchgeführt werden und alle Lebenszyklusphasen eines Produktes in den Blick nehmen. Die Pre-Use Phase bezieht sich auf den Entwurfsprozess sowie die Herstellung und Fertigung, die Use Phase bezeichnet die Nutzung der Kleidung/ Textilien nach Fertigstellung durch Konsument:innen und die After Use Phase bezieht sich auf die Wiederverwendung und/oder Rezyklierung von Produkten.
Im ersten Arbeitspaket wird eine grundlegende Machbarkeitsstudie und Prozessanalyse zur verteilten, dezentralen Fertigung im lokalen Textilsektor der Metropolregion Hamburg durchgeführt. Hierbei stehen organisationstheoretische Fragestellungen und die Etablierung gemeinsamer Prozessstandards im Vordergrund. Um lokale KMU und Textildesigner:Innen zu mobilisieren und verteilte Fertigung im Textilbereich in Hamburg zu realisieren, bedarf es einer Infrastruktur (sowohl digital als auch physisch), welche die Ressourcen innerhalb der Stadt organisiert, Bestellmengen auf unterschiedliche Hersteller:Innen verteilt und auf diese Weise die Kapazitäten von Kleinstbetrieben bestmöglich allokiert und nutzt.
Zu Anfang werden entsprechend situierte Prozesse von Handwerksbetrieben analysiert und auf dieser Basis übergeordnete Standardabläufe identifiziert, von der KMUs und Designer:innen profitieren und die im Sinne einer Fab City verteilte Fertigung vereinfacht, sowie zur Datenerfassung im Sinne einer Fab City beiträgt. Gegenwärtig arbeiten viele der kleinen und mittelständischen Fertigungsbetriebe in Hamburg überwiegend analog, so dass hier ein zusätzlicher Bedarf an Schulung und Trainings zur Digitalisierung von Abläufen entstehen wird.
Das Ziel des Arbeitspaketes besteht im Aufbau eines lokalen Netzwerkes/ Community und der Ableitung von konkreten Handlungsempfehlungen zur Machbarkeit, Organisation und Umsetzung lokaler, dezentraler Fertigung im textilen Sektor.
Welche Materialien stehen uns zur Verfügung?
Das zweite Arbeitspaket befasst sich mit Local Sourcing und der Verwendbarkeit lokal verfügbarer Materialien im Rahmen von Materialstudien. In der Vision der Fab City Bewegung, sollen alle Gebrauchsgüter innerhalb eines Radius von ca. 50km hergestellt werden. Besonders im Textilsektor ist dieses Vorhaben sehr ehrgeizig, da in den letzten 70 Jahren die Fertigung systematisch nach Fernost verlagert wurde und textile sowie nicht-textile Materialien fast ausschließlich globaler Herkunft sind.
Dies betrifft insbesondere die Garnherstellung. Das Arbeitspaket befasst sich entsprechend mit den Potentialen einer lokalen Garn- und Flächenproduktion und erhebt Materialien die lokal oder regional bezogen und entsprechend verarbeitet werden können. Ergebnis der Erhebung sind Arbeitsproben aus der angewandten Materialforschung (Garn, Gestrick, Gewebe). Moderne CNC-Maschinen, wie z.B. die STOLL ADF Strickmaschine, benötigen eine gewisse Garnqualität zur Weiterverarbeitung. Entsprechend wird im Rahmen der Potentialanalyse die Garnqualität lokaler und regionaler Produkte hinsichtlich ihrer Eignung zur Weiterverarbeitung getestet. Die Erkenntnisse werden in einer entsprechenden Material- und Herstellerdatenbank zusammengefasst. Die lokale Materialdatenbank wird in einem zweiten Schritt auf digitale Kompatibilität geprüft, um z.B. Design Passports mit entsprechenden Bill Of Materials zu verknüpfen und z.B. benötigte Mengen an Material auf unterschiedliche Handwebereien zu verteilen.
Das Ziel ist es lokalen Designer*innen Alternativen zu global angebotenen Produkten und Materialien zu bieten und langfristig Lieferketten zu verkürzen und die lokale Fertigungstiefe in Hamburg zu erhöhen.
Im dritten Arbeitspaket geht es um das Tracking von Produkten und Produktbestandteilen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. Um Textilien innerhalb des Kreislaufs der Metropolregion Hamburg kontrollieren zu können, müssen sie mit einer eindeutig identifizierbaren ID ausgestattet sein (UID).
Diese UID kann bspw. Auskunft geben über die Materialzusammensetzung, den Produktionsort, das Design oder die Rezyklierbarkeit der Materialien. Es gibt bereits verschiedene digitale Lösungen auf dem Markt auf die bei dem Vorhaben zurückgegriffen wird. House of All evaluiert die praktische Anwendung und Anbringung an der Hardware (dem Textil) und führt eine entsprechende Anforderungsanalyse durch (Materialzusammensetzung etc.). In einem nächsten Schritt werden relevante zu erfassende Daten in Abhängigkeit unterschiedlicher Ziel- und Produktgruppen identifiziert.
Im letzten Schritt werden Prozessstandards entwickelt bezüglich der Anbringung des Codes am Textil. Ziel des Arbeitspaketes ist die prototypische Ausstattung von 2 verschiedenen Open Source Textilprodukten mit UIDs zur pilotenhaften Erfassung entsprechender Value Streams. Aus den Ergebnissen der Pilotstudie werden Empfehlungen für die Umsetzung in Hamburg von Produkt/Designpassports für den Bereich textile UID abgeleitet, um Produkt- und Materiallebenszyklen zukünftig besser nachverfolgen zu können.
Das vierte Arbeitspaket beschäftigt sich explizit mit der Wiederverwendung (Re-Use/ Recycling) oder Lebenszeitverlängerung (Reparatur) von textilen Produkten und soll Hamburger Bürger:innen, Designer:innen und Textilproduzent:innen sowie Einrichtungen der städtischen Infrastruktur (z.B. Stadtreinigung) proaktiv in Form von Kokreationsworkshops mit einbinden. Ziel ist es gemeinsam ein städtisches Re-Use Konzeptes mit entsprechender Infrastruktur hinsichtlich der Sammlung und Sortierung sowie der Reparatur von Alttextilien zu erarbeiten. Auf diese Weise soll zum einen das öffentliche Bewusstsein für das Thema in der Stadt gestärkt werden und zum anderen ein möglichst
niedrigschwelliges und von den betroffenen Akteuren getragenes Konzept entwickelt werden.
Selbstverständlich stehen wir für Fragen ihrerseits gern zur Verfügung und freuen uns über Hinweise, Kommentare und Kritik.
Herzliche Grüsse
Sarah Prien
Schreiben SIe uns gerne an we@wearall.clothing
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